Tagebuch der Lustbarkeiten: Winkewinke weißes Wolkentier!

Der Himmel ist, wie du siehst, jetzt wieder blau gefegt, der Saharasand hat sich gesenkt und  niedergelegt. Die Wolke winkt uns in Tieresgestalt ein fröhliches „Gute Reise!“  Nun sind wir zurück in der Mani, unsrer bevorzugten Lebensweise.

 

 

 

 

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Ausstellungsbesuch 2 (Michalis Oikonomou bei Theodohakis-Stiftung, Athen)

Kann die zuvor besprochene Ausstellung von Margielas Werken als Beispiel für intellektuelle „postmoderne“ Kunst gelten, so ist die von Michalis Economou (1888–1933) am andern Ende – am Beginn der griechischen Moderne angesiedelt. 

Die „Griechische Moderne“ ist freilich kaum mit dem zu vergleichen, was zur selben Zeit etwa in Frankreich und Deutschland vor sich ging. Ein wichtiger Grund sind die vollkommen verschiedenen Lebenswelten des damals noch weitgehend agrarischen Landes, das nur in den Städten elektrifiziert war und wo die Arbeit nicht von Maschinen, sondern von  Tieren und Menschenhänden vollbracht wurde. Ich erwähne das bloß, weil oft übersehen wird, wie stark sich die Lebenswelten auf das künstlerische Schaffen auswirken. 

Economou, ein in Griechenland weithin bekannter Maler, hat wie die meisten seiner Kollegen lange Zeit im westlichen Ausland verbracht (1906-1926 Paris, mit Aufenthalten in Großbritannien). Meistens wird er als „impressionistischer“ Maler bezeichnet, aber die Zuordnung finde ich zweifelhaft. Was er schafft, sind Bilder von Häusern, Booten, Küsten und Spiegelungen, doch fast nie in impressionistischer oder gar pointilistischer Manier, sondern flächig gemalt und manchmal wie gemauert. Wenn man unbedingt vergleichen will, dann vielleicht mit Munchs 1901 gemalten „Mädchen auf der Brücke“.

Doch in der Wirkung sind Economous Bilder ganz anders. Sie wirken wie verzaubert, fast entsubstanzialisiert, als seien diese Landschaften schon nicht mehr wahr. Als seien sie Träume, die sich seiner sehnsuchtsvollen Seele eingedrückt haben.

Das „Haus, das träumt“ ist sein bekanntestes und am öftesten reproduziertes Werk. Ich sah das kleine kostbar gerahmte Bild gestern und begann meinerseits zu träumen von einer heilen Welt von Anno dazumal. Die einfachen Formen, die weichen Konturen, die stille Spiegelung – es ist eine Szenerie, die die Sehnsucht nach einem „ursprünglichen“ harmonischen Leben des Menschen in seiner Umwelt einfängt. In so manchem Foto in euren Blogs finde ich ähnliche Anmutungen, und auch ich habe so meine Ecken, wo der Traum ganz real zu sein scheint. Ihr hier Mitlesenden kennt wohl alle das verfallende Haus in der Bucht, das ich immer wieder fotografierte und zeichnete (mit Kugelschreiber, 2019)

Economou scheint in den Jahren seiner Abwesenheit von Griechenland diesen Traum in sich genährt zu haben, und so fand er ihn nicht nur in seinem Heimatland, sondern überall, wohin er reiste.

Es gibt einige Versuche, sich eine modernere Bildsprache zu erschließen, so wie hier, wo fast abstrakte Landschaftsformationen als Farbflächen gegeneinander gesetzt werden. Aber die Bindung an die natürliche, erlebte Raumarchitektur gibt er niemals auf.

Dämmerig ist seine Welt, träumerisch entrückt, doch immer gebunden an die mit den Sinnen zu begreifende wirkliche Welt.

Wer seine Bilder sieht und sich nicht wehrt, wird hineingezogen in diese Welt der milden Zwischentöne. Eine Welt, die in der Wirklichkeit schon nicht mehr ist, aber immer noch in unserer Seele lebt und sie träumen macht.

Hier noch ein paar Beispiele:

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Tagebuch der Lustbarkeiten: Ausstellungssbesuch 1 (Martin Margiela bei Bernier-Eliades, Athen)

Gestern. Die feine kleine Galerie Bernier/Eliades befindet sich in einer stillen Straße am U-Bahnhof Theseion. Schon wegen ihrer idyllischen Lage suche ich sie möglichst bei all meinen Athen-Besuchen auf. Der Hauptgrund ist freilich, dass man dort Einzelausstellungen internationaler zeitgenössischer Künstler zu sehen bekommt. Das ist für Athen durchaus keine Selbstverständlichkeit. Denn wir haben zwar seit der Documenta 14 (2017) ein prächtiges Museum für Zeitgenössische Kunst in einem Riesenbau (ehemals Bierfabrik Fix), aber das letzte Mal, dass ich dort war, fand ich es inhaltlich so enttäuschend, dass ich bei meiner sehr begrenzten Zeit keinen Anlauf riskieren wollte. 

Ein kleines Schild mit dem Namen des ausstellenden belgischen Künstlers (Martin Margiela), ein messingner Klingelknopf, den ich drücke, und die schwere Sicherheitstür öffnet sich schnurrend. Im stillen Raum begrüßen mich schwarze und weiße Torsen auf hohen Stelen.

Merkwürdige Torsen sind das. Leicht irritiert betrachte ich sie. Sie wirken körperlich, aber zugleich unbestimmt zerfließend, als wüssten sie nicht so recht, was sie werden wollen oder einmal gewesen sind. Trans-Übergangsgeschöpfe vom hier zum dort, mit frei wandernden Organen. Der weiße lässt sich einigermaßen fotografieren.

Mir fällt eine Szene aus Faust II ein (Klassische Walpurgisnacht): Proteus – der ständig seine Gestalt wandelnde Gott – und Homunculus, der im Reagenzglas steckt und noch keine feste Form gefunden hat*. Max Beckmann hat sie illustriert (Quelle: Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethemuseum)

Klassische Walpurgisnacht. 2. Akt: Proteus: Komm geistig mit in feuchte Weite (Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum RR-F)

In einer Vitrine gegenüber erblicke ich vier Kugeln, die … ja, was? Sie haben Haare und einen Mittelscheitel. Rechts prangt eine große dunkelhaarige, und je weiter der Blick nach links wandert, desto mickriger wird die Kugel, und das Haar färbt sich langsam eisengrau.

Eine Allegorie auf das Altern, so will mir scheinen (merkwürdigerweise in umgekehrter Leserichtung von rechts nach links). Man kennt das ja: wie sich im braunen Haar rund um den Scheitel die Farbe zurückzieht, zumal wenn das Braun nicht ganz echt ist und das Grau nachwächst. Dann heißt es für so manche: Schnell zum Figaro!

Allegorie hin oder her: irritierend makaber finde ich diese behaarten Kugeln mit den Mittelscheiteln.

Im nächsten Raum bleibe ich vor Treppen stehen, die aus rotem Filz gefertigt zweidimensional an der Wand lehnen. Sie wirken, als seien sie noch nicht ganz fertig, denn Spannfäden hängen unordentlich aus dem Gewebe.

Es gibt auch weniger würdevolle Treppen, zum Beispiel solche aus grauem strapazierfähigem Filz…

oder auch solche mit vorsorglich aufgeklebten Signalkanten, damit man beim Runtergehen nicht stolpert.

Die roten sind wohl für die Chefetage, die grauen für die niederen Angestellten und die mit den gelbschwarzen Kanten für die Lieferanten.

Was noch? An einer Wand hängen zahlreiche Plexiglaskästen mit eleganten Schuhen, die bei genauerem Hinschauen keine sind, sondern nichts als Gelumpe und Möchtegern.

und ein Eisengestell an der Wand – unklar zu welchem Behufe – will dem Betrachter suggerieren, ihm sei ein Fell gewachsen.

So ahmt die Kunst nun nicht mehr wie in alten Tagen die Natur nach, sondern unsere zivilisatorischen Errungenschaften, bei denen ja oft genug unklar bleibt, was sie sind und was sie zu sein scheinen. Fake eben.

Mit solche Gedanken trete ich hinaus ins gleißende Mittagslicht und wandere etwas erschöpft zurück zur U-Bahn. Zu mir herunter grüßt die Kulisse der Akropolis, und ich frage sie: bist du, was du scheinst? Eine Antwort gibt sie mir nicht. Über so was wie mich mit meinen komischen Fragen ist sie erhaben.


J.W.Goethe, Faust II, Klassische Walpurgisnacht.

(….)

Thales
Wo bist du, Proteus? –

Proteus
Hier! und hier!

(….)

Thales
Gestalt zu wechseln, bleibt noch deine Lust.

Proteus
Ein leuchtend Zwerglein! Niemals noch gesehn!

Thales
Es fragt um Rat und möchte gern entstehn.
Er ist, wie ich von ihm vernommen,
Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,
Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.
Bis jetzt gibt ihm das Glas allein Gewicht,
Doch wär‘ er gern zunächst verkörperlicht.

Proteus
Du bist ein wahrer Jungfernsohn,
Eh‘ du sein solltest, bist du schon!

Thales
Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch:
Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.

Proteus
Da muß es desto eher glücken;
So wie er anlangt, wird sich’s schicken.

(….)

 

 

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Tagebuch der Lustbarkeiten: Athen

Den für heute geplanten Athenbummel mit einer Freundin musste ich allein machen, denn die Freundin war schon auf dem Absprung zum „Dorf“. Alle, die wie sie irgendwo ein „Dorf“ haben, verschwinden während der Osterferien aus Athen. Da sie Lehrerin ist, war heute der letzte Schultag. Und ab geht die Post.

Für viele andere war heute offenbar der letzte Tag, um noch schnell was zu besorgen. Entsprechend heftig war der Autoverkehr. Und auch die Metro war brechend voll. Dazu kam, dass die Sonne, die tagelang hinter Saharasand verborgen war, nun mit voller Kraft nachholte, was sie versäumt hatte. Es war heiß, und meine Augen tränten – von Müdigkeit, Sand, Ozon? ich weiß es nicht. Dennoch war es ein schöner und auch nützlicher Ausflug.

Denn erstens besuchte ich eine Freundin, die in einem eng bebauten Stadtteil unterhalb der Akropolis wohnt. Zum Glück geht ihre kleine Wohnung auf eine stillgelegte Straße, und von ihrem Balkon aus schaut man auf einen kleinen Park. Auch haben die Bewohner auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihren Balkon tüchtig bepflanzt. Und so lässt es sich aushalten.

Ich brachte ihr eine Flasche von unserem Mani-Öl (sie stammt väterlicherseits aus der Mani, hat aber kein eigenes Öl) und erzählte ihr von meinem neuen Hobby: Paneurythmie-Tanzen. Sie war von dem Video sehr angetan und will nun auch beginnen, zumal die Athener Tanzgruppe sich ganz in ihrer Nähe auf dem Musenhügel trifft. 

Anschließend begab ich mich mit dem „Elektriko“ (der ältesten Metro-Strecke) zum Thesseion (Opfertempel). Es ist nur eine Station und eine besonders schöne Region der Athener Innenstadt. Von hier aus kann man über die lange Fußgängerstraße des „Apostel Paulus“  zum antiken Theater Herodion Attikou oder auch durch das Altstadtgewimmel nach Monastiraki wandern. Ich aber wollte nur mal schauen, was in der zeitgenössischen international aufgestellten Galerie Eliades-Bernier zu sehen ist. Skupturen des Belgiers Martin Margiela. Dafür brauche ich einen eigenen Eintrag.

Ich nahm nun erneut den Elektriko bis zur Station Monastiraki und stieg in die Metro um, die drei Stockwerke tiefer unterwegs ist. Ich wollte zur Hauptpost am Verfassungsplatz, um die zweimal aus Deutschland zurückgeschickte Bildersendung nun von dort aus zu expedieren – in kleinerem Format. Nur wenige Kunden warteten, dennoch dauerte es lange, bis ich endlich dran kam. Ich hoffe sehr, dass es diesmal klappt.

Vom Verfassungsplatz ist es zu Fuß nicht weit zur Theoharakis-Stiftung, die auf drei Stockwerken wechselnde Ausstellungen bekannter griechischer Maler zeigt. Die laufende Ausstellung zeigt einen Maler des beginnenden vorigen Jahrhunderts, der zu den „Impressionisten“ gezählt wird, aber einen ganz eigenen Stil ausgebildet hat. 

Über diese Ausstellung berichte ich ebenfalls in einem eigenen Eintrag.

Die nächste und letzte Station meines heutigen Athen-Ausflugs erreichte ich erneut zu Fuß: das Museum für Byzantinische und Christliche Kunst. Erschöpft ließ ich mich an einem Tisch des Gartenlokals fallen. Immer wieder steuere ich diese Oase im Athener Getümmel an. Man kann dort schmackhafte kleine Speisen bestellen oder auch Kaffee und Kuchen, vor allem aber kann man sich erholen. Denn unterhalb des eindrucksvollen Museums dehnt sich ein wohlgestalteter Garten, der ans Lykeion – die Schule des Aristoteles – angrenzt. Bis meine Bestellung kam – Risotto mit feinen Pilzen – verging sicher eine Stunde. Die Kellnerin entschuldigte sich wortreich für die lange Wartezeit, die mir gar nicht aufgefallen war, der Chef kam und verkündete, dass Brot und Wein auf Kosten des Hauses gingen, und als ich schließlich ein großes Trinkgeld daließ, wurde mir auch noch ein Espresso spendiert.

Diese freundliche Bedienung machte mich so heiter, dass ich völlig gestärkt noch einen Bummel durch den ausgedehnten Museumsgarten mit seinen Statuen, seinen Rosen und dem duftenden Agioklima (Geißblatt), den riesigen Eukalyptusbäumen und Kopien byzantinischer Kunst anschloss. Ein Theater gibts dort auch – keine Ahnung, ob es auch bespielt wird.

 

 

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Tagebuch der Lustbarkeiten: Besuch in der Brandzone – 6 Jahre danach.

Im Sommer 2018 hatte ein fürchterliches Feuer in Ost-Attika 103 Todesopfer gefordert. Tausende Häuser verbrannten. Meine Schwägerin und ihre Familie kamen davon, ihr Haus war nur angesengt, aber der Pinienwald rundum war tot. Ich berichtete darüber (hier)

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und wie der Sohn der Familie, der Künstler Vasilis Botoulas, mit der Katastrophe umging (hier). Heute machten wir dort mal wieder einen Besuch. Mit Geschenken von Freunden und selbst hinzugekauften Pflänzchen ist schon vieles neu begrünt. Da dort oft sehr starke Winde wehen, müssen die Bäumchen gut verankert werden, damit sie standhalten. Und so ist eine kleine grüne Oase rund um das frisch geweißte, hübsche Häuschen entstanden.

Es wäre übertrieben zu sagen, dass die Gegend geheilt ist. Nein, das ist sie ganz und gar nicht. Schuld daran ist nicht die Natur, die sich nach Kräften bemüht, die Wunden zu schließen, sondern wieder einmal der Mensch. Denn das ganze Vorgebirge des Pendelikon ist Spekulationsgebiet. Die Hässlichkeit der ohne Stadtplan auf die Hänge gestellten mehrstöckigen Häuser wurde durch den Brand brutal aufgedeckt. Und leider ist die Bautätigkeit auch seither nicht zur Ruhe gekommen. Nur wenige Flächen blieben verschont und sind mit blühender Macchia bedeckt.

So schön ist die Macchia von Nahem gesehen.

Aber nun. Die Menschen bauen, wie sie wollen und können,…

und man darf dankbar sein, wenn sie ein paar Bäume und Blumen in ihre Vorgärten pflanzen, um das Auge zu trösten.

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Aus alten Tagebüchern: Jackson Pollock (Kunst, 1)

Ich probiere mal aus, ob es Sinn macht, frühere Eintragungen aus meinen handschriftlichen Tagebüchern hier abzuschreiben. Den Fluss der Gedanken und Ereignisse will ich nicht rekonstruieren, aber vielleicht diese und jene Beobachtung, Erfahrung, Idee aus dem Kontext herauslösen und unter einen Titel stellen. Der erste Titel wäre: Kunst. 

In diesen Tagebuch-Notizen scheint auf, wie ich Impulse von außen aufnehme und verarbeite, mir nur halb bewusst, selbst wenn ich es aufgeschrieben habe. Die Textstelle ist vom 4.10.2001 und beschreibt eine TV-Doku über Jackson Pollock. Zwei Tage später, am 6.10., schreibe ich über eigene Kunstproduktion, ohne Bezug auf Pollock zu nehmen. Doch mir scheint, dass dieser Bezug existiert.

4.10.2001: Nach Haus kam ich um 9.30, aß mit P zu abend und hockte mich vors TV: ein Jackson-Pollock-Film. Man sah Pollock bei der Arbeit: die harten und zarten Bewegungen, mit denen er die Farben auftrug! Ich empfand die Intensität seines Wesens, die nur zeitweise im Arbeiten einen Ausweg fand, sehr stark und geschwisterlich. Er ertränkte diese Intensität in Unmengen von Alkohol. War das fünfte Kind einer armen Familie, Vater haute ab, Mutter zog ihn fast allein auf. Ein schöner junger Mann, aber von schrecklichen Spannungen heimgesucht, die sich in ständigen Streitereien mit den Mitmenschen Bahn brachen. Nur eine Frau, moderne Malerin, die damals weit bekannter war als er, rettete ihn eine Weile vor sich selbst. Zuletzt versagte auch die Kunst, er verfiel schnell und starb bei einem Unfall/Selbstmord. Hinterließ diese wunderbare Tröpfelwelt, die den Blick der Menschen veränderte, in die Tiefenstrukturen hinein. 

Zwei Tage später, am 6. Oktober 2001, notiere ich etwas über meine eigene damalige Kusntproduktion:

Vorher hatte ich gemalt bzw Bilder zusammengeklebt und -geschmiert, eine ganze Menge, ich glaube 6 Stück. Ein Rekord. Quantitativ ein Durchbruch. Nun muss ich schauen, was es ist.  Alles ist „overall“* – zeichenhaft: schwebend, stürzend, wogend, treibend. Eines (…) ein merkwürdiger sehr bewegter und etwas bedrohlicher „Figurentanz“, ein anderes „Träume, ach!“ ist treibendes Eis, dazwischen rote Blüten. Es gibt auch (…) ein wüstes blau-rotes Bild auf der Grundlage von Börsenkursen („greed“). …


 

*Die Bilder, die ich damals herstellte, sind overall in dem Sinne, dass die Oberfläche in alle Richtungen gleich behandelt wird, also weder zentrale Elemente noch Vorder-Hintergrund, Links-Rechts, Oben-Unten eine spezifische Wirksamkeit entfalten sollen. Welche Bilder es genau waren, weiß ich nicht mehr. Das erste könnte „Träume, ach!“ sein. Ich finde, dass es einen starken Einfluss von Pollocks Malerei gibt, der mir aber damals kaum bewusst war. (Vergleiche hier)

Noch ein paar Beispiele:

 

 

 


 

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Tagebuch der Lustbarkeiten: alte Tagebücher lesen

Seit vielen Jahren schreibe ich Tagebuch. Gestern räumte ich ein Fach meines Arbeitszimemrs leer, in dem sich handgeschriebenen Tagebücher stapeln. Ich weiß nicht, was ich damit tun soll. Noch mal lesen? Oder gleich entsorgen?

Ich machte ein Tagebuch auf und sah, dass es ein Geschenk einer Freundin war. Hallo Ingrid! Und der Berichtszeitraum ist 1.10.2001-30.11.2002.

Ich schrieb damals per Hand, trotz der mühsamen Handschrift (umgeschulte Linkshänderin). Jeden Morgen, bevor ich irgendetwas anderes tat, schrieb ich drei Seiten. Das hatte ich einer Anleitung in irgendeinem Lebensberaterbuch entnommen. Manchmal schäumen die Worte, manchmal tröpfeln sie, mal fließen sie sanft und ruhig, dann wieder mit Stromschnellen. Ich las und der Rhythmus nahm mich mit.

Viele der Menschen, von denen die Rede ist, sind nicht mehr am Leben oder sie sind sonstwie aus meinem Leben verschwunden. Einige sind noch da. Und viele, mit denen ich heute Umgang habe, sind noch gar nicht aufgetaucht. Denn damals lebten wir ständig in Maroussi, das Haus in der Mani war noch nicht gebaut.

Was die Gedanken, Fragen, Klagen anbetrifft, so sind sie sich ziemlich ähnlich geblieben über einen Zeitraum von über zwanzig Jahren. Nur weniges habe ich endgültig ad acta legen können. An ihre Stelle sind seither sehr viel mehr neue Fragen und Klagen getreten. Es ist wie mit der Hydra, der man einen Kopf abhaut, nur um zu sehen, dass sieben Köpfe nachwachsen.

Daneben habe ich auch über viele Ereignisse berichtet, die noch von Interesse sein könnten. Vielleicht mache ich eine neue Rubrik: Aus alten Tagebüchern und rette so das eine und andere über die Zeit. Wegwerfen werde ich sie jedenfalls vorerst nicht.

 

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Tagebuch der (Un)Lustbarkeiten: Fisch, Wüstenstaub und Postversand

Köstlich schmeckte der Fisch, den mein Mann heute Mittag zubereitete. Und der gekühlte Weißwein hob die Stimmung.

Ansonsten war der Tag etwas schwierig, denn der Staub aus der Sahara hat uns fest im Griff. Eben sah ich ein Foto von der Bucht von Kalamata (gruselig). In Athen ist es natürlich nicht besser. Der Unterschied ist, dass man hier sowieso nicht so viel vom Himmel sieht.

Wenn man die Rosen und die Pinie des hinteren Balkons mit aufs Bild nimmt, sieht es nicht ganz so gruselig aus.

Da ich bei dem Wetter nicht in die Stadt fahren mochte, beschäftigte ich mich mit einem anderen nicht gerade lustvollen Thema: Zum zweiten Mal ist ein Bilderversand nach Deutschland gescheitert und an mich zurückgegangen. Auf dem Vordruck sind „zu großes Format“ und „fehlende Zollerklärung“ als Rücksendegrund angekreuzt. Allerdings hat die griechische Post das Format nicht bemängelt, und Zollerklärungen sind im EU-Postverkehr meines Erachtens nicht erforderlich. Die hiesigen Postbeamten zuckten mit den Achseln, als ich nach den Gründen fragte, und so zog ich ab, froh, dass das Paket samt Inhalt unbeschädigt war. Ich schnitt es auf, nahm das zu große Bild raus und suchte ein kleineres aus der Clownsserie. Nun hoffe ich, dass zusammen mit den Zeichnungen ein neues Paket zu schnüren ist, das dann auch endlich ankommt.

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Dienstags-Drabble: Konfirmation als Realsatire

Grinsekatz lädt wieder zum Drabble – Drei Worte für Dienstag, den 23.4.2024. Zu schreiben ist ein Text von genau 100 Wörtern, darunter die Wörter: Realsatire, nassforsch, entweihen.Überschriften zählen nicht mit.

 

Es muss im Jahr 1955 gewesen sein. Ich war 13 und besuchte wie alle meine Klassenkameraden den evangelischen Konfirmandenunterricht. Der Unterricht war eher ein Gaudi, denn an der christlichen Glaubenslehre war niemand von uns „Heiden von Kummerow“ ernsthaft interessiert. Eines Tages schlichen wir uns – ich ein wenig beklommen, denn ich spürte wohl, dass wir dabei waren, ein Sakrament zu entweihen – in die Sakristei. Ein nassforscher Knabe hatte uns dazu verführt, verschwörerisch hatte er kundgetan, dass man uns einen besonderen Abendmahlwein kredenzen würde.  Jetzt zog er die Flasche aus dem Schränkchen und schrie triumphierend: „Kröver Nacktarsch“. Eine Realsatire, die ich nie vergessen konnte.

 

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Tagebuch der Lustbarkeiten: durch Maroussi spazieren

Wenn ich nicht in der Mani bin, bin ich in Maroussi, meinem ersten Wohnsitz. Maroussi gilt heute als „nördlicher Vorort“ von Athen, ist aber eine unabhängige Stadt mit ca hunderttausend Einwohnern, vielen großen überregionalen Einrichtungen, darunter auch das Olympische Stadion, wo 2005 die Spiele ausgeführt wurden, und einem ausgedehnten Stadtwald, den der Reeder Syngros den Bewohnern spendete. Historische Quellen nennen den Ort schon seit 2500 Jahren, da er schon damals einer der Orte für die Ausführung der Olympischen Spiele war. Wegen seines guten Klimas war er während der römischen Besatzungsjahre sehr bei römischen Adligen beliebt, und später  waren es osmanische Herrschaften, die sich hier zwischen Öl- und Weinplantagen einrichteten.

Nun aber ist es eine Stadt, die aus den Nähten platzt. Die ehemals ein- bis zweistöckigen Häuser weichen 5–stöckigen, die Weinberge sind verschwunden. Dennoch hat sie immer noch einen gewissen Charme, und ich lebte gern hier,

Gestern bummelte ich bei glänzendem Licht durch den Stadtwald und die angrenzenden Wohngebiete. Ich fotografiere ein paar typische Ecken: ein Gemisch aus Hochhaus, übrig gebliebenen Häuschen und viel Grün.

Ich freue mich immer an den Vorgärten der kleinen und großen Häuser, bleibe oft stehen.

Immer noch gibt es Baulücken zwischen den Häusern. Manche Häuser sind so nahe am unbebauten Grundstück gebaut, dass sie ander Seite kein Fenster haben dürfen. Das neue Haus kann dann an die Brandmauer des älteren angebaut werden. Wo eine Baulücke war…

erheben sich dann in Kürze villenartige Reihenhäuser mit Vorgärten und Blumenschmuck. Wenngleich Reihenhäuser, ist doch jedes Haus anders. Der architektonischen Fantasie sind keine engen Grenzen gesetzt.

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